Zahlreiche Reihen mit weiße Papierboote nebeneinander, zwischen den Reihen fährt ein rotes Papierboot entlang.

2. Deutschlandforum

2. Deutschlandforum: Kommunen sind „Speerspitzen der Hoffnung“


Er sprach sich einmal mehr für nationale Bildungsziele und eine Stärkung der regionalen Schulpolitik aus und plädierte dabei für einen unverkrampften Blick ins Ausland: „Die für mich wichtigste Erfahrung von PISA ist nicht das Abschneiden der deutschen Schülerinnen und Schüler, sondern die Tatsache, dass gute Bildung möglich ist, und das mit einem breiten und sozial ausgewogenen Zugang“, sagte Dr. Andreas Schleicher, Bildungsexperte und PISA-Papst der OECD, zum Auftakt des 2. Deutschlandforum Verwaltungsmodernisierung aus, das am 18. und 19. November 2004 in Bergisch Gladbach tagte.

Unterstützt wurde Schleicher vom Geschäftsführenden Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Dr. Gerd Landsberg, der Bildung als „Schwerpunkt der Politik“ definiert sehen will, die nun entsprechende Mittel bereitstellen müsse. „Der Wettlauf um niedrige Steuersätze führt in die Irre“, sagte Landsberg. Die Bürger erwarteten jetzt zu Recht eine bessere Ausbildung. Über die Prioritäten gingen die Meinungen der einzelnen Mitglieder des Innovators Club zwar auseinander. Doch zum engeren Kreis der bildungspolitischen Forderungen zählten eine möglichst flächendeckende Ganztagsbetreuung, eine vereinheitlichte Grundausbildung von Lehrern und Erziehern, mehr Autonomie für die einzelnen Schulen durch entsprechende Zielvereinbarungen. Einig war man sich auch, dass Anreize für neue Anstrengungen geschaffen werden müssten; genannt wurden unter anderem leistungsorientierte Bezahlung der Lehrer, Entbürokratisierung in den Schulen, mehr Spielraum für die Schuldirektoren sowie eine breit angelegte öffentliche Diskussion von Elternrechten und -pflichten.

Starke Schulen benötigen die kombinierte Unterstützung von Staat und Kommunen. Das betonte Dr. Christoph Eichert, Leiter des Themenfeldes Bildung der Bertelsmann Stiftung. „Schulen, die eigenständig Verantwortung für die Unterrichtsgestaltung übernehmen wollen, sind auf die Unterstützung der Kommunen angewiesen“, sagte er und betonte zugleich: „Land und Kommune sollten jenseits ihrer Zuständigkeiten freiwillig zusammenarbeiten.“ Eichert verwies als Beleg auf das Projekt „Selbstständige Schule“, das größte deutsche Reformprojekt für mehr Eigenverantwortung an Schulen. 278 Schulen in 19 nordrhein-westfälischen Regionen sind an der gemeinsamen Initiative von Bertelsmann Stiftung und Schulministerium beteiligt. Zum Programm solchermaßen eigenverantwortlicher Schulen zählen fortan nicht nur hehre Zielsetzungen, sondern harte Arbeit. Schulen müssen sich um einen verbesserten Übergang zwischen Schulen und Beruf bemühen. Darüber hinaus muss die selbstständige Schule von morgen unternehmerisch denken lernen und Mittel erhalten, ihre eigene Entwicklung in die Hand zu nehmen. Dazu gehören neben der Curriculumsentwicklung auch Fortbildungen für Lehrer und Schulleiter, Fragen der Frühbildung sowie der Sprachförderung. Ob nun offene Ganztagsschulen die richtige Antwort auf PISA wären oder doch eine reformierte Form des deutschen, dreigliedrigen Schulsystems, das indes ließ Eichert bewusst offen.

Bildung: Soziale Frage des 21. Jahrhunderts


Weniger diplomatisch ging es hingegen beim abendlichen Kamingespräch zu, als Prof. Dr. Dr. Radermacher (Universität Ulm) wider die von PISA ausgehende Beschwörung der deutschen Bildungsmalaise polemisierte und damit eine angeregte Diskussion entfachte. Die Bundesrepublik, so Radermacher, habe noch immer eine vorzeigbare Infrastruktur und ein Pro-Kopf-Einkommen, das sich jederzeit mit den USA messen lassen könne. Die deutschen Exportweltmeister arbeiteten weniger als die Amerikaner. Darüber hinaus bauten sie die besten Mobiltelefone, hätten einen „Weltklasse-Kapitalstock“ und der Anteil der „nicht-monetären Wertschöpfung“ sei ebenfalls weltmeisterlich. Das liege nicht zuletzt – und trotz seiner Schwächen – am deutschen Bildungs- und Ausbildungswesen. Wie Schleicher und Eichert sieht Radermacher die Bildungsfrage als soziale Frage des 21. Jahrhunderts (die „absolute Schlüsselfrage“). Von einer Privatisierung der Bildung hält er nichts. „Wenn Sie eine richtig schlecht ausgebildete Bevölkerung haben wollen, dann die amerikanische, die diesen Tatbestand nur durch die Greencard auszugleichen versteht.“ Diese symbolisiere für ihn den „massivsten Plünderungsmechanismus der Welt“. Radermacher verwies darauf, dass die „Ausbildung eines deutschen Hirns“ etwa 130.000 Euro koste. Köpfe seien nun mal das Kapital einer Wissensgesellschaft. Köpfe, Kapitalstock und Infrastruktur (siehe auch Beitrag auf S. 15), das wären die Schlüssel zum Wohlstand einer Nation. Wenn die bundesdeutsche Gesellschaft dennoch mit großen Strukturproblemen zu kämpfen hat, dann liegt dies nach Rademacher vor allem an der „falsch laufenden Globalisierung“. Der Schraubstock der Weltwirtschaft drücke sowohl auf die Steuereinnahmen wie auf den Arbeitsmarkt und zwinge das Land, weniger Geld auszugeben, „obwohl es objektiv mehr tun müsste.“ Von der Europäischen Union erhofft er sich Impulse für alternative Antworten auf die Globalisierung. Zu einem solchen unangenehmen, aber intelligenten Rückbau gehört für ihn nicht nur die derzeit kontrovers diskutierte Spitzenförderung, sondern auch und weiterhin, „gute Leute in der Breite zu fördern.“ Bürgermeister und Verwaltungen vor Ort seien bei diesem Reformprozess die „Vorreiter von morgen“. Die Mitglieder des IC fühlten sich ob so vieler Vorschusslorbeeren sowohl geschmeichelt als auch zum Widerspruch herausgefordert. Am nächsten Tag aber wandten sie sich wieder klassischen Reformthemen zu – Kooperationen und eGovernment. Martin Bonow, Mitglied des Vorstandes beim Genossenschaftsverband Frankfurt, präsentierte die Vorzüge des Genossenschaftsmodells: seinen unternehmerischen Ethos, seine Verpflichtung gegenüber jedem Mitglied, seine langfristig angelegt Kultur des „nicht-schnellen Gewinns“. Auch wenn Genossenschaften gegen das Image, antiquiert zu gelten, ankämpfen müssten, passe die Idee sehr in die heutige Zeit. Unterstützung bekam Bonow von dem Bad Tölzer Bürgermeister Josef Niedermaier. Für diesen ist die Genossenschaft eine hochmoderne Unternehmensform. Harry Brunnet, Bürgermeister von Hardthausen, bestätigte, dass es ohne Genossenschaftsbanken viele Klein- und Gewerbebetriebe nicht mehr geben würde. Um eine Reform ganz anderer Art ging es hingegen Willi Kaczorowski (Cisco Systems), als er die australische Netzwerkverwaltung Centrelink vorstellte. Bei diesem digitalen Verwaltungsdienstleister handelt es sich um ein eGovernment- Portal, in dem rund 6,5 Millionen „Kunden“ mit 140 Dienstleistungen in 42 Sprachen bedienen würden. Centrelink verstehe sich demnach als Orchestrator, der nur auf Anfrage der Bürger tätig werde. In der anschließenden Diskussion gab es zwei Lager. Dass digitale Verwaltung großes Einsparpotenzial habe, zumal im Backoffice, wollte niemand bezweifeln. Offen hingegen sei, inwieweit diese Online- Angebote am Ende auch vom Bürger angenommen würden.

Kreative Milieus in den Kommunen


Neben den Plenumssitzungen tauschten sich die Teilnehmer während der Tagung in Arbeitsgruppen zu den Leitthemen „Bildung“ und „Kooperation“ aus – zwei der dringlichsten Herausforderungen für die Kommunen, die den Innovators Club in den nächsten Monaten in besonderer Weise beschäftigen werden. Um die Förderung kreativer Milieus müsse es auch bei der zukunftsgewandten Bildungspolitik gehen. „Bildung wofür“, das fragte sich und die anderen Mitglieder des Innovators Club Prof. Hermann Hill in seiner Stellungnahme zu den Empfehlungen der Arbeitsgruppe Bildung. Was sind die Schlüsselkompetenzen von morgen? Was kann die Schule dazu beitragen? „Und vor allem: Was kann die Kommune zur eigenständigen Schule beitragen?“ Die Diskussion griff Schleichers Thesen von strategischer Bildungspolitik auf und bezog sich auf die von Eichert propagierten kommunalen „Unterstützungsringe“. Dezentralisierung und Privatisierung wurden ins Feld geführt als Katalysatoren neuartiger, vernetzter regionaler Bildungslandschaften. „Lernende Region“ heißt eines der aktuellen Konzepte, die zur Debatte stehen: Diese postuliert ein produktives Klima zwischen den Bildungsverantwortlichen, ein Miteinander von staatlichen und kommunalen Institutionen, von privaten Trägern und den unmittelbar betroffenen Eltern und Schülern. Man war sich einig, dass viel zusammenkommen muss, um die schlummernde Kreativität in den Kommunen freizusetzen. Talente, Technologie und Toleranz sind da. Wie diese Schätze effektiv zu heben sind – und das unter den Bedingungen klammer öffentlicher Kassen–, das zu beschreiben wird eine Aufgabe der Arbeitsgruppen im IC sein, die auf dem 3. Deutschland- Forum, das am 18./19. April in Bergisch Gladbach stattfindet, ihre Positionspapiere vorstellen wollen.